Gleiches Recht für Alle? – Wenn eine Kennzeichentafel abhanden kommt

Der Streifenwagen der Polizei mit Zettel hinter der Heckscheibe

(Wien) Jedem Fahrzeughalter bzw. -Lenker kann passieren, daß ihm eine Kennzeichentafel abhanden kommt, sei es beispielsweise durch eine Beschädigung der Kennzeichentafelhaltung oder Diebstahl, wie es gelegentlich auch schon gerade bei Wunschkennzeichen zum Ärgernis der Besitzer vorkommt. Auch kann es bisweilen einfach abfallen, wenn man das Rosten der Schrauben nicht im Auge behalten hat. Bekannterweise ist in einem derartigen Fall dann an der Stelle wo sich die Kennzeichentafel befinden sollte, eine „behelfsmäßige Kennzeichentafel“ anzubringen. Dies ist in Österreich durch den § 51 „Verlust von Kennzeichentafeln“ des Kraftfahrgesetzes geregelt. Der Verlust einer Kennzeichentafel ist derjenigen Behörde oder Dienststelle des öffentlichen Sicherheitsdienstes im örtlich zuständigen Wirkungsbereich, in der die Wahrnehmung erfolgte, unverzüglich anzuzeigen. Der Lenker erhält dann eine Bestätigung und darf das Kraftfahrzeug auf öffentlichem Straßengrund mit der „behelfsmäßigen Kennzeichentafel“, die dem Original „möglichst gleicht“, 1 Woche vom Tag des Verlustes an gerechnet, weiter verwenden.

Faksimile RIS BKA § 51 KFG

Faksimile RIS BKA § 51 KFG

Wenn ein Fahrzeuglenker schon einmal einen Zettel mit seinem Kennzeichen beispielsweise hinter der Front- oder Heckscheibe angebracht hat und so in eine Fahrzeugkontrolle geraten ist, so wird ihm in Erinnerung geblieben sein, welch kostspielige Angelegenheit das werden kann.

Dienstfahrzeug der BUNDESPOLIZEI WIEN BP-257Dienstfahrzeug der BUNDESPOLIZEI WIEN BP-257

So überraschte uns am 1.3.07 um 17:11 das hier gezeigte Dienstfahrzeug der POLIZEI WIEN, das mit einem derartigen Zettel hinter der Heckscheibe, zusätzlich nur wenige Schritte von einem völlig unbesetzten Halte- und Parkverbot „Ausgenommen Dienstfahrzeuge der Bundespolizei“ im 1. Bezirk in Wien abgestellt war. Denn am Laurenzerberg befindet sich eine Polizeiinspektion mit eigenen Parkplätzen für Polizeifahrzeuge und der Einsatzwagen war in der gegenüberliegenden Seitengasse, dem Hafnersteig, ums Eck vor einem Hotel abgestellt. Natürlich wäre es möglich, daß die Fahrzeugbesatzung dort einen Einsatz hatte und aus diesem Grunde dort das Polizeifahrzeug mit dem Kennzeichen BP-257 abgestellt wurde. Während unseres Aufenthaltes konnten wir jedoch am Laurenzerberg gleich mehrfach Polizistinnen und einen Polizisten wahrnehmen, die Organmandate von offensichtlichen Parksündern kassierten. Unweigerlich drängte sich dann die Vermutung auf, daß das Dienstfahrzeug mit dem Zettel hinter der Heckscheibe nur deshalb quasi versteckt, abseits abgestellt wurde, damit der Umstand, daß die hintere Kennzeichentafel fehlte, nicht allzusehr von anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden würde. Aber wie gesagt, dies ist nur eine Vermutung.

Fakt ist aber, daß das Polizeifahrzeug mit dem Handzettel in der Heckscheibe nicht den gesetzlichen Erfordernissen entspricht, wofür andere Fahrzeuglenker beanstandet und zur Staatskassa gebeten werden. Denn im § 49 Abs. 6 „Kennzeichentafeln“ des KFG steht wie folgt: „Die Kennzeichentafeln müssen senkrecht zur Längsmittelebene des Fahrzeuges annähernd lotrecht und so am Fahrzeug angebracht sein, dass das Kennzeichen vollständig sichtbar und gut lesbar ist und durch die Kennzeichenleuchten ausreichend beleuchtet werden kann.“ und von dieser gesetzlichen Regelung sind auch die „behelfsmäßigen Kennzeichentafeln“ betroffen.

Faksimile RIS BKA § 49 Abs. 6 KFGFaksimile RIS BKA § 49 Abs. 6 KFG

Auch der Erfordernis gemäß Abs. 4 des gleichnamigen Paragraphen, nämlich daß das Kennzeichen bei klarem Wetter auf mindestens 40 m lesbar sein muß, entspricht dieser Handzettel in keiner Weise.

Faksimile RIS BKA § 49 Abs. 4 KFGFaksimile RIS BKA § 49 Abs. 4 KFG

Und weil es sich ausgerechnet um ein Fahrzeug der POLIZEI handelte, soll der guten Ordnung noch der § 26b der Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung nicht unerwähnt bleiben, der besagt, daß Kennzeichen „auch nicht mit durchsichtigem Material“ abgedeckt sein dürfen, dem eine Heckscheibe und zusätzlich die Klarsichtfolie, in die das Papier offensichtlich gelegt wurde, also ZWEI Schichten durchsichtigen Materials! mit Sicherheit zuwiderläuft.

Faksimile RIS BKA § 26b KDVFaksimile RIS BKA § 26b KDV

Herrn Mag. Christian NEUBAUER, dem Leiter der juristischen Abteilung des ARBÖ trugen wir den Sachverhalt vor und dieser bestätigte unsere Ansicht und teilte mit, das Anbringen hinter der Heckscheibe „genügt nicht“ und ein Zettel „genügt gar nicht“.

Nachdem wir die Pressestelle des LANDESPOLIZEIKOMMANDOS WIEN fernmündlich zu dem Sachverhalt um eine Stellungnahme gebeten hatten und trotz zugesagten Rückrufs dieser nicht erfolgte, urgierten wir am Nachmittag des darauffolgenden Tages. Laut Auskunft einer Mitarbeiterin der Pressestelle wäre die Rückrufnummer nicht gegangen. Die Frage, wann denn der Versuch erfolgt wäre, konnte nicht beantwortet werden – nur “ … die Nummer war aber a komisch“. Antwort unsererseits „Eine ganz normales Mobilfunknetz in Österreich.“ Nochmals die Sachverhaltsschilderung und danach – „Bleiben Sie mal kurz dran“ – Nach 2 Minuten 56 Sekunden Tonbandansage „Bitte warten“ dann ein Geräusch, ein Ton und das Gespräch

war beendet. Vielleicht klappt es ja schriftlich, oder will man einfach nicht Stellung beziehen?

Das Dienstfahrzeug der "ANTON-Klasse" (Anm.: ANTON Funkbezeichnung für zugeteilte Streifenwagen im 1. Wiener Gemeindebezirk) um 17.32 UhrDas Dienstfahrzeug der „ANTON-Klasse“ (Anm.: ANTON Funkbezeichnung für zugeteilte Streifenwagen im 1. Wiener Gemeindebezirk) um 17.32 Uhr

Realsatire vom Feinsten – das LANDESPOLIZEIKOMMANDO WIEN meint:

wir hätten mit der PRESSEABTEILUNG der BUNDESPOLIZEIDIREKTION WIEN gesprochen und diese „hat mit dem landespolizeikommando wien, wohin sie jetzt gemailt haben, nichts zu tun. Wenn sie von unserer seite eine stellungnahme wollen, müßten sie uns den sachverhalt kurz schreiben. … infomanagement

Darauf haben wir am 6.3.07 um 12:43 Uhr unter der Telephonnummer des LANDESPOLIZEIKOMMANDOS WIEN angerufen, wo sich nach längerer Ansage eines Tonbandes mit „Guten Tag BUNDESPOLIZEIDIREKTION WIEN“ dann mit POLIZEI WIEN eine freundliche Dame gemeldet hat und mitteilte, daß das LANDESPOLIZEIKOMMANDO WIEN die BUNDESPOLIZEIDIREKTION WIEN ist. Es gäbe auch keine unterschiedlichen Pressestellen.

Hören Sie hier diese Realsatire

Vor lauter POLIZEI dürfte in diesem Fall aber auch wirklich niemand für die POLIZEI innerhalb der POLIZEI zuständig sein.

Screenshot von bundespolizei.gv.atScreenshot von bundespolizei.gv.at

Der guten Ordnung halber sei angemerkt, daß das Fahrzeug zu einem späteren Zeitpunkt während des mobilen Streifendienstes beobachtet werden konnte.

Der Polizeibeamte, der für die vorschriftwidrige Anbringung des „Behelfskennzeichen“ für das Dienstkraftfahrzeug BP-257 verantwortlichen war, hat NICHT, wie mancher vielleicht fälschlich meinen könnte, mit gutem Beispiel voranzugehen, sondern dem nachzukommen, wofür andere Fahrzeuglenker bestraft werden, dem Gesetz zu folgen, das er/sie selbst exekutiert.

Bildlegenden v.li.n.r.-v.o.n.u.:
Der Streifwagen um 17.11 Uhr am Hafnersteig
alle Faksimile aus dem Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes
Der Streifenwagen ebenfalls um 17:11 Uhr in der Frontansicht
Der vermutliche ANTON-Wagen (Anm.: ANTON=Funkname für Stkw mit Zuteilung 1. Bezirk) um 17:32 Uhr

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080203

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