Der Sommerflugplan der Deutschen Lufthansa 1928

Streckennetz Lufthansa 1928

Montag, den 23. April, wird die Deutsche Luft Hansa den diesjährigen Sommerluftverkehr eröffnen. Der größte Teil der insgesamt etwa 90 Linien wird zu diesem Termin in Betrieb genommen werden. Die restlichen folgen im Laufe der anschließenden drei Wochen nach. Eine besondere Stellung nimmt hier natürlich der sogenannte Bäderluftverkehr ein, der in den Hauptreisemonaten unterhalten wird. Eine Zusammenstellung aller aufgeführten Strecken, die in dem vom Reichsverkehrsministerium herausgegebenen Kursbuch ersichtlich sind, ergibt in den Hauptbetriebsmonaten eine tägliche Flugleistung von etwas über 60 000 km und übertrifft damit die Leistung des Vorjahres.

Diese Tatsache ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß zu dem ungefähr gleichen Streckennetz des vorigen Sommers einige internationale Flugverbindungen neu hinzugekommen sind. Seit Anfang Januar ist ja Spaniens Hauptstadt Madrid an das deutsche Luftverkehrsnetz angeschlossen. Als erste direkte Flugverbindung zwischen Deutschland und Italien wird die transalpine Versuchsstrecke München – Mailand mit einer probeweisen Zwischenlandung in Trient durchgeführt werden, zunächst zur Beförderung von Fracht und Post, bei genügender Erfahrung auch für den Personentransport. Ein beachtlicher Ausbau wurde ferner auf den nach Skandinavien und den östlichen Randstaaten bestehenden Linien vollzogen. So wird erstmalig eine Überseeverbindung von Lübeck/Travemünde nach Kalmar geschaffen, welche nordwärts nach Stockholm und südwestwärts nach Hamburg, Bremen, Rheinland Anschluß besitzt. Durch diese Strecke ist es u.a. möglich, von Köln nach Stockholm in 11 Stunden zu reisen. An der Ostsee wird Memel durch die Linien Königsberg – Tilsit – Momel an das mitteleuropäische Netz angeschlossen. Im Osten, wo das Verkehrsnetz der Erdbeförderungsmittel nicht so stark ausgeprägt ist wie im dichtbesiedelten Westen, gewinnt der Luftverkehr erhöhte Bedeutung. Konnte man noch vor nicht allzulanger Zeit bei einer Betrachtung des mitteleuropäischen Luftverkehrsnetzes die internationalen Flugverbindungen aufzählen, ohne den Leser zu ermüden, so ist das heute nicht mehr möglich. denn, nachdem Deutschland mit allen unmittelbaren oder mittelbaren Nachbarstaaten, mit Ausnahme von Polen, Luftverkehrsabkommen geschlossen hat, sind fast alle Hauptstädte Europas von deutschen Flughäfen aus im regelmäßigen Luftverkehr zu erreichen. London, Amsterdam, Brüssel, Paris, Madrid, Basel, Zürich, Mailand, Venedig, (Rom), Wien, Budapest, (Belgrad, Sofia, Bukarest, Konstantinopel), Prag, Moskau, Riga, Reval, Helsingfors, Stockholm, Kopenhagen, Oslo sind die Endpunkte der von Deutschland ausstrahlenden Fluglinien.

In dem neuen Luftkursbuch kann man das deutliche Bestreben erkennen, den internationalen Luftverkehr möglichst zu beschleunigen. So ist in vielen Fällen die Zahl der Zwischenlandungen verringert worden. Z.B. wird auf der Route Berlin – Paris nur noch in Köln zwischengelandet, während der bisherige zweite Unterbrechungshafen Essen/Mülheim einen Zubringerdienst nach Köln erhält. Ebenso wird auf der Strecke Berlin – Moskau das Teilstück Berlin-Königsberg direkt, d.h. ohne Landung in Danzig beflogen, und bei der Verbindung Berlin-Genf hat man auf die Landung in Lausanne verzichtet. Auch durch Abkürzung der Aufenthalts- und Umsteigezeiten hat man den internationalen Flugverkehr zum Teil sehr erheblich beschleunigt, z.B. Berlin-Moskau um 3 Stunden, Berlin-Basel um 70 Minuten und Berlin-Paris um 40 Minuten. Der Einsatz immer schnellerer mehrmotoriger Großflugzeuge dient natürlich auch der Beschleunigung des Luftverkehrs.

In der Einsicht, daß Schnelligkeit ja doch die Seele des Luftverkehrs ist, sind einige Expreßflugstrecken, auch D-Linien genannt, eingerichtet worden. Sie stehen zu den anderen gleichlautenden Routen mit Zwischenlandungen etwa in demselben Verhältnis wie ein FD-Zug zum Tagesschnellzug. Derartige D-Linien sind Berlin-Zürich und Berlin-Wien. Die Schaffung derartiger D-Strecken trägt zugleich auch dem Wunsche nach einer Erweiterung des internationalen Luftverkehrs Rechnung, denn man kann jetzt z.B. von Berlin aus nach Zürich zu zwei, nach Wien sogar zu drei verschiedenen Tageszeiten reisen. Am augenfälligsten werden die Vorteile des Luftverkehrs gegenüber den Erdverkehrsmitteln auf den Strecken London-Berlin-Moskau, Berlin-Madrid und Berlin-Rom. Morgens startet man in London, trifft am Spätnachmittag in Berlin ein und um 11 Uhr abends startet das Nachtflugzeug nach Moskau, wo die Landung um 3 Uhr nachmittags des nächsten Tages erfolgt. Im Rahmen der Flugverbindung nach Spanien wird die 2100 km lange Strecke Berlin-Madrid in zwei Tagesflügen mit nur einer Übernachtung in Genf zurückgelegt und schließlich ist durch die Expreßstrecke die Möglichkeit geschaffen worden, in einem Tage von der deutschen zur italienischen Hauptstadt zu reisen. Ein wesentliches Merkmal des Luftkursbuches ist es, daß durch vorzüglich ausgearbeitete Umsteigmöglichkeiten nicht nur die Hauptzentren des Verkehrs, sondern auch die vieln kleineren Flughäfen an die großen internationalenVerbindungen angeschlossen sind.

Die reibungslose Abwicklung des Verkehrs auf den internationalen Flugstrecken ist durch den Umstand gesichert, daß sich alle europäischen Luftverkehrsgesellschaften schon seit vielen Jahren zur „Internationalen Lufttransport-Vereinigung“ (International Air Traffic Association) zusammengeschlossen haben, auf deren Tagungen einheitliche Grundsätze für den europäischen Luftverkehr festgelegt werden.

Wie bei den internationalen Linien so macht sich auch auf den innerdeutschen Strecken die Beschleunigung des Verkehrs bemerkbar; einerseits sind auch hier D-Strecken geschaffen worden, wie z.B. zwischen Frankfurt/M. und Berlin, andererseits hat man auf Grund der in dem Vorjahre gesammelten Erfahrungen auf eine Reihe von Zwischenlandungen Verzicht geleistet. Viele bis an die deutschen Grenzen von Nord und West, Ost und Süd geführten Fluglinien halten für das deutsche Wirtschaftleben durchaus den Vergleich mit den großen durchgehenden europäischen Strecken aus. Soweit es sich um kleinere innerdeutsche Linien oder um Zubringerstrecken oder um Verbindungen mit häufigeren Zwischenlandungen handelt, entsprechen diese stets dem Wunsche der unmittelbar interessierten Länder, Provinzen und Kommunen. Das verhältnismäßig dichte innerdeutsche Luftverkehrsnetz, das anderen Staaten wie z.B. Frankreich zum Vorbild dient, ist ja, daran denke man stets, die wirksamste Verankerung und Förderung des Luftfahrtgedankens im deutschen Volk, dem durch den Vertrag von Versailles und die Pariser Luftfahrtvereinbarungen die Militärfliegerei verboten und der Sportflug erheblich erschwert wird.

Eine Sonderstellung nehmen die sogenannten Bäderlinien ein, welche nach der Nord- und Ostsee, nach dem Riesengebirge, dem Schwarzwald, dem Harz und den Bayrischen Alpen führen. Erfahrungsgemäß zeichnen sich diese Strecken durch eine fast 100prozentige Frquenz aus. Auch der Gedanke des Wochenendverkehrs von den Großstädten nach den Kurorten und Erholungsplätzen ist bei der Zusammenstellung des Sommerflugplanes weiter berücksichtigt worden.

Deutsche Luft HansaDeutsche Luft Hansa

Bekanntlich werden in den Kursflugzeugen Passagiere, Post und Fracht befördert. An einigen Strecken hat sich aber die Notwendigkeit ergeben, den Personenverkehr von dem Frachtverkehr organisatorisch zu trennen und neben den normalen Kursflugzeugen, welche natürlich auch Güter befördern, reine Frachtflugzeuge einzusetzen. Dies geschieht auf den Strekcen Berlin-Hannover-Amsterdam-London, Berlin-Hannover-Essen/Mülheim-Köln-Paris, Berlin-Essen/Mülheim-Köln-London.

Im Frachtluftverkehr wird sich des weiteren das zwischen der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft und der Deutschen Luft Hansa geschlossene Abkommen über den Flug-Eisenbahn-Verkehr (Fleiverkehr) erst in diesem Sommer richtig auswirken. Der Sinn des Abkommens besteht darin, daß mit Hilfe eines einheitlichen Frachtbriefes auch Handel und Industrie in Städten, welche nicht direkt vom Luftverkehr berührt werden, die Vorteile der schnellen Flugbeförderung genießen können.

Eine weitere organisatorische Neuerung liegt in der Einrichtung eines Sonntagsflugdienstes zwischen Berlin und Paris, welche wohl als Beginn eines allgemeinen Sonntagsluftverkehrs zu werten sein dürfte.

Der Nachtluftverkehr erfährt einen weiteren Ausbau. Im vorigen Sommer bestand nur die Nachtluftverbindung Berlin – Danzig – Königsberg, neu kommt jetzt hinzu Berlin – Hannover. Da der Nachtluftverkehr ein wesentlicher Faktor für die erstrebte Eigenwirtschaftlichkeit des Luftverkehrs ist, muß ein Ausbau weiterer Nachtflugstrecken dringend gefördert werden, zumal der Nachtflugverkehr ja kein ungelöstes technisches Problem mehr ist, sondern nur finanzielle Mittel für die Befeuerung und Bodenorganisation der zu befliegenden Strecke erfordert. Als nächste Nachtflugstrecken sind Berlin-Halle/Leipzig, Fürth/Nürnberg-München und Berlin-Breslau-Gleiwitz vorgesehen.

Bei einem Überblick über die Neuerungen und Verbesserungen gegenüber früheren Jahren gewinnt man den Eindruck, daß der neue Sommerflugplan der Deutschen Luft Hansa in der Entwicklung der Handelsluftfahrt einen weiteren Fortschritt bedeutet.

Motor und Sport 29.IV.1928
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