Abkassieren anstatt Hebung der Verkehrssicherheit “Licht am Tag”

Unsere [M]-Graphik zur massenhaften Anzeigeerstattung durch einige Polizisten zu LICHT AM TAG

(Österreich) Etwas verwundert waren wir als im April dJ eine Anonymverfügung mit einem Strafbetrag in Höhe von 32.- € wegen Verletzung der Licht am Tag-Regelung im Postfach vorzufinden war. „Licht am Tag“ wurde in Österreich am 15.11.2005 eingeführt um die Verkehrssicherheit zu heben. Weil das gesunde Rechtsempfinden eines Bürgers die lapidare Bestrafung nicht in diesem Zusammenhang erkennen läßt, beschritten wir das ordentliche Verfahren und leiteten zeitgleich unsere Recherchen zu dieser Thematik ein.

Selten, daß ein neues Gesetz derartig kontroversielle Standpunkte bei den unterschiedlichsten Gruppen hervorgerufen hat. Die Intension, die den Gesetzgeber veranlaßt hat, die Lenker von mehrspurigen Kraftfahrzeugen zu zwingen auch während des schönsten Wetters das Licht an allen Kraftfahrzeugen tagsüber aufzudrehen, ist nach dessen These, daß damit eine Steigerung der Verkehrssicherheit erzielt werden könne. Nachdem dem Gesetzesbeschluß jedoch heftigste Diskussionen vorausgingen, entschloß man sich eine Probezeit von 2 Jahren einzurichten, um nach deren Ablauf eine Evaluierung vorzunehmen. Zu der großen Gruppe der Skeptiker gehört auch die österreichische Kraftfahrervereinigung ARBÖ. Auch innerhalb unserer Redaktion gibt es mehr Ablehnung als Zustimmung, da es bei uns Motorradfahrer gibt, die bereits seit Jahren als Lenker von einspurigen Kraftfahrzeugen angehalten waren, Licht am Tag zu verwenden. Gerade für einspurige Kraftfahrzeuglenker brachte die Lichtverwendung am Tag jedoch tatsächlich eine Verbesserung der Verkehrssicherheit. Die Gründe liegen auf der Hand, da ein sich einem Personenkraftwagen näherndes Kraftrad wesentlich früher als solches identifiziert werden kann, da die Annäherungsgeschwindigkeit von anderen Verkehrsteilnehmern oftmals unterschätzt oder deren Wahrnehmung überhaupt erst zu spät erfolgte und Unfälle oftmals die Folge waren. Dieser Vorteil für Motorräder fiel durch die allgemeine Einführung von „Licht am Tag“ bedauerlicher Weise weg.

Licht am Tag für einspurige Kraftfahrzeuge war real eine Hebung der VerkehrssicherheitEs freut sich jedenfalls über deren Einführung die Mineralölwirtschaft, die wegen des gesteigerten Energieverbrauches zu Mehreinnahmen gelangt, aber auch mit Sicherheit die Republik Österreich. Denn was dem Volk unter umstrittenen Argumenten unter der Deklaration der Hebung der Verkehrssicherheit untergejubelt wurde, dient mit Sicherheit auch der Füllung der Staatskassa und der Stopfung der Budgetlöcher. Denn unsere Recherchen haben nicht nur zu Tage gebracht, daß es Polizisten gibt, die sich mit der Licht am Tage -Sanktionierung ein neues Steckenpferd gefunden haben, das mit der Hebung der Verkehrssicherheit aber rein gar nichts zu tun hat, sondern auch, daß ganz offensichtlich mit deren Aktivitäten gegen eine interne Anweisung sowie entgegen des Erlasses des Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie eingeschritten wird. Aber der Zuckergruß ist unserer Ansicht, daß zumindest eine Strafabteilung der sanktionierenden Bezirkshauptmannschaften überhaupt nicht in Kenntnis des Inhaltes des entsprechenden Erlasses ist, der laut Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres, die Betätigungsgrundlage der Polizei darstellt.

Faksimile der Strafverfügung zu "Licht am Tag"Faksimile der Strafverfügung zu „Licht am Tag“

Nimmt man alleine die von der Sachbearbeitung der Bezirkshauptmannschaft Bruck/Leitha (NÖ) genannte Anzahl der Anzeigen, die am 13. Juni 06 eingetroffen und mit 60 Stück beziffert wurden, rechnet diese hoch auf das gesamte Bundesgebiet, dann kann sich der Finanzminister auf das Jahr gesehen über Strafgelder in Millionenhöhe freuen. Es geht hier jedoch im Kern nicht um die Bestrafung an sich, sondern die von den Polizisten an den Tag gelegte Vorgangsweise. Man ginge Fehl in der Annahme, daß die Lenker auf ihr falsches Verhalten aufmerksam gemacht worden wären. Nein, klamm heimlich schreiben Exekutivorgane einfach während des Streifendienstes Kennzeichen von Fahrzeuglenkern auf, die kein Licht am Tag verwenden. In der Anzeige findet sich dann sinngemäß der Wortlaut, daß eine Anhaltung verkehrsbedingt nicht möglich war. Welch Glanzleistung – de fakto ein Vorgang, der mit der Hebung der Verkehrssicherheit absolut gar nichts zu tun hat. Aber offensichtlich das Liebkind von Beamten, die sich weder für die Ausgangslage der Gesetzgebung interessiert haben oder über eine gesunde Prioritäteneinstufung ihrer Aufgabenstellung verfügen.

Wir beschritten den Rechtsweg und zahlten den Strafbetrag von 38.- € der Anonymverfügung nicht ein, was eine Strafverfügung mit 58.- € zur Folge hatte. In unserer Begründung führten wir u.a. den Erlaß des Verkehrsministerium zu Licht am Tag, GZ: BMVIT-179.713/0008-II/ST4/2005 vom 27.10.2005 an indem unter Punkt 4 folgendes ausgeführt ist:

Bestrafung: Bei einem Verstoß gegen die neuen Bestimmungen betreffend Fahren mit Licht am Tag handelt es sich um eine Verwaltungsübertretung. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie ist eine solche Übertretung mit einem Organmandat in Höhe von 15 € zu bestrafen.

Faksimile aus dem Erlaß des Bundesministerium für Verkehr, Innovation und TechnologieFaksimile aus dem Erlaß des Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie

Aus der thematischen Sicht logisch, denn ein Lenker soll bei Verstößen gegen Licht am Tag auf sein Verhalten aufmerksam gemacht werden. Davon auszugehen, daß ein Lenker vorsätzlich kein Licht aufdreht, käme einem Paradoxum gleich, denn die Auffälligkeit eines derartigen Handelns ist auf Kilometer zu erkennen. Wenn in Folge einer Beanstandung die Bezahlung eines Organmandates abgelehnt werden würde, dann sollte die Anzeige als Mittel der Bestrafung folgen.

Die Praxis sieht jedoch anders aus und obwohl bereits am 12. Mai dJ beispielsweise der Verkehrsreferent des Bezirkspolizeikommandos Bruck/Leitha (Name der Redaktion bekannt) „neuerlich“ darauf hinweist, daß gegen Verstöße zu Licht am Tag mit Anhaltungen vorzugehen ist und nur in Ausnahmenfällen Anzeigen erstattet werden sollen, agieren die Polizisten entgegen dieser Vorgabe.

Wir wollten vom Bundesministerium für Inneres wissen, wie die Polizeibeamten gegen derartige Verstöße vorzugehen haben und schilderten unseren Fall. Üblicherweise gibt es eigene Durchführungsverordnungen für die Polizeidienststellen durch das Innenministerium, jedoch teilte uns Mag. ZOTTER von der Abt. II/2 – Einsatzangelegenheiten der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit wie folgt mit:

„Zu Ihrer Anfrage vom 2.6.2006 teile ich Ihnen mit, daß es sich bei der von Ihnen angesprochenen „Durchführungsverordnung“ um einen Erlaß des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) handelt, dem – im Gegensatz zum Bundesministerium für Inneres – in Angelegenheit der Vollziehung des Kraftfahrgesetzes 1967 als oberste Vollziehungsbehörde eine Anordnungsbefugnis gegenüber allen mit der Vollziehung des zitierten Gesetzes betrauten Behörden und Organen zukommt.“

Klartext: was das Verkehrsministerium im Erlaß festgelegt hat, ist vom Innenministerium und der, diesem untergeordneten Polizei umzusetzen – also Organmandat und 15.- € Strafe. Auch Frau Dr. AURACHER-JÄGER vom ARBÖ teilt uns im Interview mit, daß es eindeutig vom Verkehrsminister Hubert GORBACH gewünscht war, daß die Vorgangsweise eine Anhaltung und Beanstandung beinhaltet und die grundsätzliche Anzeigenerstattung abzulehnen ist. Sie ist der Auffassung, daß das Bundesministerium für Inneres eine gesonderte Anweisung an die Landespolizeikommanden herausgeben sollte.

Nach Aussagen unterschiedlicher vertraulicher Quellen innerhalb der Polizei scheint es jedoch ebenso offensichtlich,

daß hinsichtlich der Gesetzeseinführung mangelnde Information zwischen Innenministerium bis zu den einzelnen Polizeiinspektionen schuldtragend an den gegenwärtigen Zuständen ist. So haben keine Schulungen oder aufklärend und informierend wirkende Gespräche in den Polizeidienststellen stattgefunden. Lediglich eine Ergänzung der Ermächtigungsurkunden der einzelnen Beamten habe erfolgt. Doch selbst dies rechtfertigt nach unserer Auffassung nicht, das rigorose Sammeln von Kennzeichen von Verkehrssündern um hinterrücks eine Anzeigenerstattung vorzunehmen. Daß dies nicht dem Kern des Gesetzes entspricht, sollte für jeden gesunden Menschenverstand erkennbar sein.

Die Verkehrssprecherin und Nationalratsabgeordnete der GRÜNEN, Frau Dr. Gabriela MOSER, ersuchten wir ebenfalls um Stellungnahme zu folgenden Fragen:

.) Wie stehen Sie als Verkehrssprecherin der GRÜNEN zu dem Umstand, daß es Polizeibeamte gibt, die sich offensichtlich mit der Anzeigenlegung gegen derartige Verkehrssünder ein neues „Steckenpferd“ geschaffen haben und massenweise Lenker ohne Anhaltung zur Anzeige bringen? Anmerkung zu deren Vorgangsweise: Während der Fahrt mit dem Polizeifahrzeug werden die Kennzeichen der betroffenen Fahrzeuglenker nur notiert und in Folge Anzeige erstattet. Die Folge eine Anonymverfügung durch die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde. Es erfolgt weder eine Anhaltung der Fahrzeuge, noch sonst ein Hinweis auf den Regelverstoß?

Dr. Moser: Diese Vorgangsweise lehne ich entschieden ab. Der Hinweis auf Regelverstoß mittels Anhaltung hat meines Erachtens eine wesentliche pädagogische Funktion. Meine Position zu Licht am Tag war sehr kritisch, ich verlangte Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeit und Alkohol am Steuer, … sowie eine Evaluierung des LaT.

.) Sind Sie der Auffassung, daß diese Praxis im Einklang mit Punkt 4 des Erlasses des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie BMVIT-179.713/0008-II/ST4/2005 vom 27.10.2005 steht? (Punkt 4 angeführt wie oben)

Dr. Moser: Nein diese Vorgangsweise dürfte nicht dem Erlaß entsprechen.

.) Welche Empfehlung würden Sie Fahrzeuglenkern geben, die von derart zustandegekommenen Anonymverfügungen/Anzeigen betroffen sind?

Dr. Moser: Einholung von Rechtsbeistand!

Das Kuratorium für Verkehrssicherheit haben wir ebenso zu dem Sachverhalt um Stellungnahme ersucht, die jedoch bis Redaktionsschluß noch nicht eingelangt ist.

Bemerkenswert, daß hinsichtlich des Erlasses des BMVIT die Strafabteilung der Bezirkshauptmannschaft Bruck a.d. Leitha von uns auf dessen Inhalt aufmerksam gemacht werden mußte, wie auch auf die Anweisung des Verkehrsreferenten des Bezirkspolizeikommandos, wobei wir dann ersucht wurden, den Erlaß zu übermitteln, da dieser dort nicht bekannt war, wie uns der namentlich bekannte Sachbearbeiter mitteilte, dem wir natürlich gerne nachkamen.

Wir haben bezüglich der Anzeige einen Einspruch bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck a. d. Leitha eingebracht und werden über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten. Reisende und Touristen, die von gleichgelagerten Fällen betroffen sind, empfehlen wir unter dem Aspekt dieser rechtlich offensichtlich sehr umstrittenen Vorgangsweise, jedenfalls eine Beschwerde bei den Auslandsvertretungen in der Republik Österreich vorzubringen und juristischen Rat vor Bezahlung eines Strafbetrages bei den jeweiligen Landeskraftfahrerorganisationen einzuholen. Betroffenen Fahrzeuglenkern aus Österreich steht ebenso das ordentliche Verfahren durch Einspruch und eine Beschwerde an das Bundesministerium für Inneres offen.

Botschaft in Deutschland: 10785 Berlin, Stauffenbergstraße 1 Telefon: (030) 202 87-0 Telefax: (030) 229 05 69 E-Mail: berlin-ob@bmaa.gv.at.
Botschaft in der Schweiz: 3005 Bern, Kirchenfeldstrasse 77/79 Telefon: (031) 3565 252 Telefax: (031) 3515 664 E-Mail: bern-ob@bmaa.gv.at.
Bundesministerium für Inneres: 1014 Wien, Herrengasse 7 Tel.: 01 531 26-0 Fax: 01 53126 108613 E-Mail: post@bmi.gv.at.

Update – 29.6.2006
Nach Überprüfung der Sachlage teilt die Bezirkshauptmannschaft Bruck a.d. Leitha schriftlich die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens mit. Die zuständigen Ministerien und thematisch zuständigen Verwaltungseinrichtungen des Bundes und der Länder haben somit offensichtlich unserer Argumentation hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Vorgangsweise Rechnung getragen.

Strafabteilung der BezirksverwaltungsbehördeFaksimile des Briefes

Somit kann auch unsererseits allen von solchen Sanktionierungsmaßnahmen betroffenen Fahrzeuglenkern, insbesondere im Hinblick auf den bevorstehenden Sommerreiseverkehr, die Empfehlung gegeben werden, jedenfalls den Rechtsweg zu beschreiten und Strafvorschreibungen, die so zustande gekommen sind zu beeinspruchen.

Update – 7.8.2006
Nachdem wir über unsere Erkentnisse zu der Abzocke zu „Licht am Tag“ im gesamten deutschsprachigen Raum am 18.6.06 entsprechende Pressemitteilungen ausgeschickt hatten und zusätzlich die Kraftfahrervereinigungen wie u.a. ADAC, ARBÖ & ÖAMTC informierten und auch in gleicher Weise über den Ausgang der Causa am 29.6.06 vorgegangen sind, haben nun weitere Medien die Thematik aufgegriffen und so wurde beispielsweise im Österreichischen Rundfunk (Radio & online), Kronen Zeitung, Tirol Online, Der Standard etc. heute über die Rechtswidrigkeit des behördlichen Vorgehens berichtet.

Update – 8.8.2006
Nachdem diese Thematik nunmehr von allen großen Medien in Österreich publiziert bzw. verbreitet wurde und sich die Medien auf die Presseaussendung des ÖAMTC berufen, haben wir uns entschlossen einen Offenen Brief an den ÖAMTC Chefjuristen Hugo HAUPTFLEISCH zu richten.

Update – 31.12.2007
Langsam mahlen die Mühlen – wir sind stolz darauf, daß DER GLÖCKEL mit dieser umfangreichen Reportage, begleitet von entsprechender Öffentlichkeitsarbeit, einen Beitrag dazu geleistet hat, daß LICHT AM TAG ab Jänner 2008 der Vergangenheit angehören wird. Im Jänner fällt der Zwang für die Lenker mehrspuriger Kraftfahrzeuge auch tagsüber das Licht einschalten zu müssen. (Anm.: Ausgenommen sind logischer weise schlechte Sichtverhältnisse bei denen auch schon zuvor die Beleuchtung aktiviert werden mußte.) Die Hebung der Verkerhssicherheit wird mit Sicherheit wieder für die Benutzer einspuriger Kraftfahrzeuge gegeben sein.

Update – 17.5.2009
Kritischem Journalismus folgt die Rache der POLIZEI

[seamless-donations]

2006-06-18

  3 comments for “Abkassieren anstatt Hebung der Verkehrssicherheit “Licht am Tag”

Schreibe einen Kommentar