Ein Wendepunkt? HORCHS neue Karosseriemodelle 1928

Horch 8

HORCHS Achtzylinderfahrgestell hat ein neues Kleid bekommen. Kleider machen Leute! Auch beim Wagen. Die beiden bisher in Berlin ausgestellten Fahrzeuge haben in kurzer Zeit die Gemüter der am Automobilbau interessierten Bevölkerung auf das angenehmste bewegt. Der neue Horch räumt mit den alten Karosserieformen so gründlich auf, daß ein Wiedererkennen nur dem Sachverständigen oder durch das künstlerisch wirksame Zeichen der Fabrikmarke möglich ist.

Hintersitze der HORCH-LimousineDer neue Horch stellt zurzeit in karosserietechnischer Beziehung auf dem deutschen Markte etwas durchaus Neuartiges dar. Die Abkehr von dem aufgesetzten Dach ist zwar bereits bei einer ganzen Reihe deutscher Firmen festzustellen, aber die Linienführung des Fahrzeugaufbaues stellt trotz einer gewissen Anlehnung an amerikanische Vorbilder doch endlich eine selbständige Leistung dar, der sich die deutsche Automobilindustrie mit vollem Recht freuen darf. Die rhythmische Aufteilung der breiten Karosserieflächen durch drei gleichgroße Fenster, deren hinterstes der Rückwand durch eine stärkere Abrundung der Ecken angepaßt ist, kann als glücklicher Griff bezeichnet werden. Sie verleiht dem Auge das Gefühl eines angenehmen Ebenmaßes. Die Zierleisten sind – abweichend von der fast chronisch gewordenen Doppelführung – durch eine individuelle Betonung der Fensterpartien ungewöhnlich wirksam und durch sorgfältig gewählte Farbzusammenstellung außerordentlich reizvoll. Das Dach, dessen richtige Linienführung so viel Schwierigkeiten zu bereiten scheint, fällt in flachem Bogen etwas nach vorn ab und nähert sich der Parabelkurve, deren völlige Erfüllung angestrebt werden sollte. Die Innenausstattung der Horch-Limousine, deren Äußeres aus den beistehenden Abbildungen zu entnehmen ist, ist außerordentlich verbessert worden. Diese Maßnahme ist insofern besonders zu begrüßen, als einige deutsche Erzeugnisse in den letzten Jahren durch den Zwang der Preisherabsetzung und die Schärfe des Konkurrenzkampfes, die Bequemlichkeiten im Innern des Wagens in gewissem Sinne vernachlässigt und dabei vielfach auf Sparsamkeitsmaßnahmen zurückgegriffen haben, die wohl über das erstrebenswerte Ziel hinausgingen. Das neue Horch-Modell stellt eine gründliche Abkehr von diesem Wege dar und ähnelt in seiner vornehmen Innenausstattung eher einem kleinen Salon. Die Ausführung der Türgriffe und aller Beschläge stammt von Künstlerhand. Reiche Holzleisten, deren Farben genau mit dem Bezug und der Karosserielackierung abgestimmt sind, vermitteln einen intimen und eleganten Eindruck unter Vermeidung jeder Aufdringlichkeit.

Auch der HORCH Phaethon zeigt eine harmonische LinienführungAuch der HORCH Phaethon zeigt eine harmonische Linienführung

Die Windschutzscheibe ist nicht mehr aufklappbar, sondern durch eine Kurbel senkrecht zu heben, wie sie z.B. auch von der Fisher Body Corporation an allen ihren Limousinen verwendet wird. Zweifellos ist diese Bauart vom ästhetischen Standpunkt ein Vorteil; ob allerdings die praktische Erprobung ebenfalls so günstig ausfällt, muß vorderhand noch der Zukunft überlassen werden.

Fahrerplatz im HORCHDie eingehende Betrachtung des Fahrzeuges vermittelt noch einen ganze Reihe von Verbesserungen, deren Anführung an dieser Stelle zu weit führte. Sie zeigen indessen, mit welcher Sorgfalt die Horch-Werke arbeiten und mit welchem eisernen Willen man in Zwickau bestrebt ist, dem deutschen Publikum tatsächlich das Bestmöglichste zu bieten. – Das Herz dieses Fahrgestells, der Horch-Achtzylindermotor, ist anscheinend unverändert geblieben, da er bereits seit einiger Zeit allen Anforderungen entspricht.

Von vorne betrachtet, zeigt der neue Horch-Wagen einen etwas breiteren, aber tief gezogenen Kühler von großer Eindringlichkeit. Eine vertikale Kühlerjalousie, die durch ein Thermostat gesteuert wird, verleiht dem Wagen ein amerikanisches Aussehen, was in diesem Falle nur als Kompliment aufgefaßt werden darf. Die schönen, großen Zeiß-Scheinwerfer und die breiten, gewölbten Kotflügel, die aus einem Stück gepreßt sind, stehen an Schönheit und Vollkommenheit der Linie den besten Erzeugnissen des Weltmarktes um nichts nach.

Eine eingehende Betrachtung des Fahrzeuges zeigt, daß eine Unzahl von Kleinigkeiten Verbesserungen erfuhren, deren Gesamtwirkung das Aussehen des Wagens außerordentlich günstig beeinflußt hat. Es wäre zunächst das neue Kühlerzeichen zu erwähnen, dessen schwungvolle Flügel die Vorstellung der Geschwindigkeit noch stärker erfüllen als bisher. Die beiden Reserveradhalter sind ebenfalls neu konstruiert und nicht mehr an den Rahmenholmen befestigt, sondern auf einem Winkelblock, der unmittelbar unter den seitlichen Verkleidungsblechen am Rahmen vernietet ist. Die Gepäckbrücke ist neuerdings zweiteilig aus gepreßtem Stahlblech hergestellt, ansprechend in der Form und zweckmäßig in der Durchbildung. Das Benzinabdeckblech fällt künftighin weg, dafür wird der Benzintank gespachtelt und lackiert. Der Tank selbst faß 90 Liter Brennstoff. Durch Betätigung eines besonderen Vierkants kann fernerhin im Notfall ein Reservebehälter von 8-10 Liter Inhalt in Anspruch genommen werden. Damit kommen die Horch-Werke einem alten Wunsche der Herrenfahrer entgegen; denn allzuoft ist ein leerer Tank die Ursache einer unerwarteten Enttäuschung. Schließlich verdienen noch die Radkappen Erwähnung, die nunmehr die Horch-Krone tragen und sich durch Verbindung der Karosseriegrundfarbe mit großen vernickelten Flächen sehr vorteilhaft präsentieren.

Die neue Limousine - das Prachtstück der Horch-WerkeDie neue Limousine – das Prachtstück der Horch-Werke

Die neue Horch-Limousine ist in ihrer jetzigen Ausstattung in die Reihe der großen Repräsentationswagen getreten. Ihre äußere Erscheinung ist von vollendeter Schönheit und verträgt in dieser Beziehung den Vergleich mit den teuersten Marken des Auslandes. Sie bedeutet darüber hinaus einen Wendepunkt für den deutschen Automobilbau. Sie ist das erste deutsche Fahrzeug, das trotz Anlehnung an das amerikanische Vorbild eine persönliche Note in ausgiebigem Maße besitzt. Sie ist somit der erste Vertreter eines Wagentyps, der anscheinend im Entstehen begriffen ist und der eine Verbindung des amerikanischen gediegenen Komforts mit der europäischen Achtung und Liebe zum Motor darstellt.

Wir können den Horch-Werken zu dieser Leistung, auf die die deutsche Automobilindustrie stolz sein dar, nur gratulieren und hoffen, daß sie dazu dienen möge, besser als viele Worte und eine demagogische Propaganda mit zweischneidigen Mitteln das deutsche Kraftfahrzeug in aller Welt wieder zur Geltung zu bringen.

Das Phaethon der Horch-WerkeDas Phaethon der Horch-Werke

Ef.
(Motor & Sport 1928)

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